Tana French: Grabesgrün

September 30, 2015 at 20:54 (gelesen)

Der Umzug ist vollbracht – bis ich wieder heimisches Internet habe, vergehen aber sicherlich noch ein paar Tage. Auch zwischen Kistenchaos kann man aber natürlich ein bißchen Lesezeit finden. Dieser Krimi liegt schon eine Weile auf meinem SuB, aber jetzt hatte ich spontan Lust darauf und bin auch schon ganz gut vorangekommen. Da „Grabesgrün“ ziemlich viel Lob eingeheimst hat, ging meine Erwartungshaltung in Richtung gehobene Unterhaltung.

Wer bringt ein kleines Mädchen um und bahrt es auf dem Opferaltar einer Ausgrabungsstätte auf? Jede Spur, die die beiden jungen Dubliner Ermittler Rob Ryan und Cassie Maddox verfolgen, führt sie nur tiefer in ein Dickicht, in dem sich alle Gewissheiten in ihr Gegenteil verkehren. Und keiner darf erfahren, dass Rob vor vielen Jahren selbst etwas Furchtbares erlebt hat – im Wald bei ebenjener Ausgrabungsstätte…

Gleich zu Beginn fällt beim Lesen auf, daß „Grabesgrün“ sehr angenehm geschrieben ist, ein wenig ausführlicher und blumiger als viele andere Krimis. Es liest sich atmosphärisch dicht, Tana French läßt sich Zeit beim Erzählen (meine Fischer Mini-Ausgabe hat über 800 Seiten) und hat ihre Charaktere auch ordentlich ausgearbeitet. Der Fall rund um ein getötetes Mädchen – in Verbindung mit einem Fall aus der Vergangenheit des Protagonisten – ist ebenfalls interessant. So weit, so gut 🙂

Jetzt habe ich noch etwa ein Viertel des Textes vor mir und momentan ist meine Lesefreude ein wenig gedämpfter. Zum einen hat die Autorin der Versuchung nicht widerstanden, zwischen den Ermittlern Rob und Cassie, die zu Beginn eine sehr intensive Freundschaft verbindet, romantische Verwirrung zu stiften, was mich sehr ärgert, weil es die Handlung natürlich überhaupt nicht voranbringt, die derzeit ohnehin recht zäh verläuft. Außerdem hat Rob mit Gedächtnislücken zu kämpfen, was die Vorfälle in seiner Kindheit angeht; ein sehr billiger Trick wäre, Erinnerungen dann zur erzählerisch gerade nützlichen Stelle aufploppen zu lassen – dazu kam es bereits ein wenig und ich hoffe, davon nicht noch mehr zu bekommen.

Für das letzte Viertel wünsche ich mir jetzt noch ordentlich Gehirnbenutzung und Fallarbeit ohne praktische Zufälle – ob die Auflösung gelingt, scheint mir entscheidend für die Güte des ganzen Romans – und bin gespannt, ob meine Vermutung in die richtige Richtung geht.

Abschlußeindruck

Letztendlich bin ich mit „Grabesgrün“ ganz zufrieden – es war für mich eine lohnenswerte Lektüre, von der ich mir aber trotzdem ein wenig mehr versprochen hatte. Nachdem sich in der zweiten Hälfte die Ermittlung zunächst sehr zog, wurde es gegen Ende (endlich) wieder spannend. Wie so oft in modernen Krimis wird die Harmonie am Ende nicht völlig wieder hergestellt; mehrere Fragen bleiben offen und durch äußere Umstände kann sich Gerechtigkeit nicht durchsetzen. Das ist nicht neu und damit kann ich gut leben, zumal so immerhin die Gedächtnislückensache nicht überstrapaziert wurde.

Mit Rob als Protagonisten hatte ich es trotzdem nicht ganz leicht. Seine oft wenig professionellen Handlungen konnte ich schwer nachvollziehen, aber das soll wohl den großen psychischen Druck durch diese besondere Ermittlung verdeutlichen… Mit meiner Vermutung lag ich übrigens richtig, weshalb mich die Auflösung wenigstens teilweise nicht allzu sehr überrascht hat 😉 Mehr von der Autorin möchte ich übrigens trotz der Kritikpunkte lesen, und zwar wegen der bereits genannten positiven Punkte.

„Eins dürfen Sie nicht vergessen: Ich bin Ermittler. Unser Verhältnis zur Wahrheit ist grundsätzlicher Art, aber rissig, verwirrend gebrochen wie gesplittertes Glas.“

5 Kommentare

  1. Winterkatze said,

    „Jetzt habe ich noch etwa ein Viertel des Textes vor mir und momentan ist meine Lesefreude ein wenig gedämpfter. Zum einen hat die Autorin der Versuchung nicht widerstanden, zwischen den Ermittlern Rob und Cassie, die zu Beginn eine sehr intensive Freundschaft verbindet, romantische Verwirrung zu stiften, was mich sehr ärgert, weil es die Handlung natürlich überhaupt nicht voranbringt, die derzeit ohnehin recht zäh verläuft. Außerdem hat Rob mit Gedächtnislücken zu kämpfen, was die Vorfälle in seiner Kindheit angeht; ein sehr billiger Trick wäre, Erinnerungen dann zur erzählerisch gerade nützlichen Stelle aufploppen zu lassen – dazu kam es bereits ein wenig und ich hoffe, davon nicht noch mehr zu bekommen.“

    Ja, ja und ja! Und jetzt bin ich gespannt, was du zur Auflösung zu sagen hast, wenn du soweit bist!

    • Kiya said,

      Ich bin durch und habe aktualisiert 😉 Jetzt bin ich neugierig, wie deine Meinung zu dem Buch ausfiel? Hast du noch weitere Bücher der Reihe gelesen?

      • Winterkatze said,

        Ich hatte „Grabesgrün“ als Hörbuch gehört (was mich, wie ich zugeben muss, kritischer macht, als wenn ich es gelesen hätte) und habe keine weiteren Bücher von der Autorin gelesen. Dummerweise finde ich die Aussagen nicht mehr, die ich zu dem Titel per Mail oder Chat gemacht hatte, aber im Prinzip hatte ich die gleichen Kritikpunkte wie du (die Beziehung war unnötig und ärgerlich, die Gedächnislücken habe ich als künstliches Herauszögern empfunden, wobei die Handlung sich eh zog, mit dem Protagonisten wurde ich warm und die Auflösung war vorhersehbar), war aber am Ende deutlich weniger zufrieden als du. Ich hatte das Gefühl, dass die Autorin die von ihr Möglichkeiten häufig auf die ungünstigste Weise genutzt hat, und das hat mich verärgert. Aber wie gesagt, ich bin bei Hörbüchern kritischer, weil ich mehr Zeit mit der Geschichte verbringe, als wenn ich sie selber lesen würde, und mich so auch etwas reinsteigern kann. 😉

  2. Windmaus said,

    Ich habe alle Romane von Tana French gelesen. Auch wenn ich das Ende von „Grabesgrün“ nicht mochte, zieht mich ihre dichte Schreibweise jedes Mal in Bann. Ich mag es, wie intensiv sie von den Freundschaften erzählt. „Schattenstill“ war nicht so mein Fall, „Totengleich“ um so mehr.

    • Kiya said,

      „Totengleich“ müßte in der Reihenfolge als nächstes kommen – dann bin ich darauf mal gespannt 🙂 „Geheimer Ort“ reizt mich schon wegen des Settings, aber ich werde wohl vorher erst die anderen Romane lesen…

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