H. P. Lovecraft: Der Schatten aus der Zeit
Drei Schattenbücher waren Bestandteil meiner letzten Amazon-Lieferung: „Der Schattenfürst“ (Bernard Cornwell), „Der Schatten des Windes“ (Carlos Ruiz Zafón) und eben „Der Schatten aus der Zeit“ (H. P. Lovecraft). Letzteres ist mit wenig mehr als 100 Seiten am schnellsten gelesen, folgerichtig habe ich es auch zuerst beendet.
Meine Lovecraft-Sammlung ist ziemlich groß, die letzte Lektüre liegt trotzdem schon mehrere Jahre zurück. Vor kurzem habe ich festgestellt, daß es noch einige Bücher gibt, die mir fehlen, also habe ich eines bestellt. Es hat Spaß gemacht, mal wieder in Lovecrafts Welt einzutauchen.
Ich-Erzähler Professor Peaslee hat während einer mehrere Jahre währenden Amnesie äußerst merkwürdige Verhaltensweisen gezeigt. Träume und Visionen lassen ihn auch, nachdem er wieder er selbst ist, nicht los. Er recherchiert daher in alten Aufzeichnungen und mythologischen Texten und entdeckt zahlreiche Übereinstimmungen mit seinen Traumerlebnissen…
Stilistisch erwartet den Leser der übliche Adjektivschwall.
„Und muß auch von nun an auf der Hut sein vor einer besonderen, geheimnisvollen Gefahr, die, wenn sie auch nie die ganze Rasse verschlingen wird, doch zumindest fürchterliche, ungeahnte Schrecken über einige ihrer wagemutigsten Mitglieder bringen könnte.“
„Mit bis zum Äußersten angespannten Nerven und von jenem unerklärlichen, mit Furcht vermischten, dämonischen Impuls in nordöstliche Richtung getrieben, stolperte ich unter dem bösartigen, brennenden Mond dahin.“
Wenn man dem gar nichts abgewinnen kann, sollte man den Autor meiden. Natürlich ist das nicht die höchste Schreibkunst und ich muß beim Lesen auch immer ein wenig darüber lächeln, aber ich habe jedenfalls Kopfkino und komme daher damit sehr gut zurecht. Die neue Übersetzung vom Festa Verlag versucht, näher am Originaltext zu sein, erkauft dies meiner Meinung nach aber mit Stimmungsverlust. Welche Übersetzung oder ob das Original – da kann sich ja jeder für seine bevorzugte Variante entscheiden.
Gegenüber anderen Lovevcraft-Büchern ist dieses gar nicht besonders unheimlich und hat auch einige Science Fiction-Anteile. Die Beschreibung der Lebenswelt der Großen Rasse ist nicht uninteressant (auch wenn die kegelförmigen Wesen optisch etwas sonderbar anmuten) – gerade in diesen Passagen liest sich „Der Schatten aus der Zeit“ für mich fast utopisch, manchmal habe ich tatsächlich ein bißchen an H. G. Wells „Die Zeitmaschine“ gedacht:
„Dann hatte die Große Rasse die Eingänge versiegelt und sie ihrem Schicksal überlassen; später hatte sie dann die meisten ihrer großen Städte besetzt und einzelne bedeutende Bauwerke stehenlassen, aus Gründen, die mehr mit Aberglauben als mit Gleichgültigkeit, Mut oder wissenschaftlichem und historischem Interesse zu tun hatten. Aber als die Äonen vergingen, tauchten undeutliche, schlimme Anzeichen dafür auf, daß die älteren Wesen im Innern der Erde stark wurden und sich vermehrten.“
Der Horror steckt diesmal vielleicht besonders in der Determiniertheit, in der Unausweichlichkeit des Schicksals Peaslees, der, ausgewählt von der Großen Rasse, mit seinen Erfahrungen zu leben hat. Gegen Ende kommt mit Ausgrabungen alter Ruinen ein typisches Thema Lovecrafts zum Tragen. Die Schlußpointe ist allerdings in anderen seiner Bücher besser geglückt: durch lange Vorbereitung ist sie hier keine Überraschung mehr.
Lovecraft ist ein Stück Geschichte der phantastischen Literatur. In dieser Funktion sollte man ihn auch zur Kenntnis nehmen. Für Einsteiger finde ich trotzdem „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“ oder „Berge des Wahnsinns“ (ersteres eher für Fantasy-, zweiteres eher für Horrorleser) empfehlenswerter.
Winterkatze said,
August 4, 2011 um 13:45
Nachdem ich als Teenager Lovecraft verschlungen habe, habe ich in den letzten Jahren feststellen müssen, dass ich ihn mir fast noch lieber vorlesen lasse („Die Berge des Wahnsinns“ ungekürzt von David Nathan gelesen haben bei mir deutlich mehr Eindruck hinterlassen als das Selberlesen vor so vielen Jahren).
An Professor Peaslee kann ich mich allerdings nicht erinnern, vielleicht wird es Zeit, dass ich meinen Mann mal um seine Lovecraft-Sammlung anhaue. 😀
Kiya said,
August 4, 2011 um 15:20
Das „Berge des Wahnsinns“-Hörbuch interessiert mich auch. David Nathan ist natürlich unvergleichlich als Sprecher 🙂 Ist das eigentlich identisch mit der Gruselkabinett 44/45-Variante?
Die Gruselkabinett-Hörspiele sind ja normalerweise auch sehr atmosphärisch gemacht und mit tollen Sprechern besetzt (gilt auch für andere Hörspiele aus dem Hause Titania Medien wie die Anne-Hörspiele… ich habe noch etwas von Sherlock Holmes und „Peterchens Mondfahrt“).
Winterkatze said,
August 4, 2011 um 15:25
David Nathan ist absolut toll als Sprecher. *hach* 😀 Und nein, es ist zum Glück komplett anders als die Gruselkabinett-Variante. Die ist nämlich für Kenner und Liebhaber der Geschichte eher gruselig anzuhören – oder zumindest für mich, da ich lieber eine engere Anlehnung am Original hätte … 😉
Hm, warte mal, ich habe da mal eine Rezension gelesen, die ganz gut passte …
http://www.booklove.de/unterhaltung/horror/berge-des-wahnsinns-hoerspiel.html (Da gibt es auch einen Link zur Nathan-Version im Text.)
Kiya said,
August 4, 2011 um 19:19
Danke, ich habe über den Link zum Verlag eine Hörprobe gefunden. Als Sprecher ist er natürlich toll, aber bei der Stelle, die ich gehört habe, klang er sehr unbeeindruckt von den ach-wie-schrecklichen Erlebnissen, die er hatte *hm*
Aber eine sehr gekürzte Variante mag ich auf jeden Fall nicht, also danke für den Hinweis. Schade eigentlich, z.B. die Dracula-Fassung vom Gruselkabinett fand ich sehr angenehm zu hören.
Winterkatze said,
August 4, 2011 um 19:39
Ich fand seine Arbeit da sehr passend, die Spannung baut sich langsam auf und man spürt schon sehr gut das Grauen, aber auch den Schock, der immer noch mitklingt. Vielleicht war das für dich der Teil, der zu unbeeindruckt wirkte?
Die Gruselkabinett-Umsetzung ist nicht nur gekürzt, sondern auch deutlich verfälscht. Und zwar auf eine in meinen Augen sehr unpassende Art und Weise … *seufz*
Kennst du eigentlich „Der Monstrumologe“ von Rick Yancey?
Kiya said,
August 4, 2011 um 20:13
Wenn sich das langsam aufbaut, genügt wahrscheinlich einfach die kurze Hörprobe nicht, um das wirklich mitzubekommen. Auf jeden Fall würde ich die Variante vor der Gruselkabinett-Version bevorzugen; verfälscht ist ja echt ungut. Vom Gefühl läßt sich Lovecraft auch nicht so gut als Hörspiel machen wie andere Geschichten.
Ja, um den „Monstrumologen“ bin ich ewig herumgeschlichen, weil ich die Ausgabe so schön fand, aber mir wegen der allgemein durchwachsenen Kritiken nicht so sicher war, ob ich so viel dafür ausgeben möchte. Stellenweise klang es in den Rezensionen geradezu nach einem geistlosen Splatterspektakel und das mag ich dann doch nicht. Nachdem ich es dann zum akzeptablen Preis bei medimops bekommen hatte, war ich eigentlich ziemlich begeistert.
Es war jedenfalls nicht primitiv wie befürchtet und stilistisch sogar obere Mittelklasse. Okay, es gibt einen gewissen Splatter-Anteil, aber es hat irgendwie zur Geschichte gepaßt und die allgemeine Stimmung hat genau meinen Geschmack getroffen. Ich liebe solche pseudowissenschaftlichen Ansätze zur Monstererklärung 🙂 Den zweiten Band habe ich nun mit größerer Sicherheit vorgemerkt. Es geht auch um Wendigos, und das Thema hat mir schon irgendwann mal bei Marzi sehr gefallen.
Und du?
Winterkatze said,
August 5, 2011 um 13:51
Ja, das sehe ich auch so! Als Hörbuch – gerade mit einem guten Sprecher – kommt Lovecraft wirklich gut und lässt mich neue Seiten an den Geschichten entdecken, aber als Hörspiel wirkt es schnell langweilig oder billig.
Ich glaube, dass das große Problem beim Monstrumologen ist, dass die Leute es überhaupt nicht einordnen konnten. Das hat mir den Einstieg in das Ganze auch etwas erschwert. Und wenn ich dann noch bedenke, dass der Autor selber die Geschichte als Jugendbuch gedacht hat, dann muss ich eher den Kopf schütteln. Auch wenn die Jugendlichen heute anscheinend härter im Nehmen sind, so finde ich einige Szenen beim besten Wille nicht für Jugendliche geeignet (und damit meine ich weniger die Jagd- und Tötungselemente, als die Begegnung mit dem alten Seemann … *schüttel*).
Ohne das Bedürfnis diese Geschichte in eine Schublade pressen zu wollen und nach ein paar kleinen Anlaufschwierigkeiten, hat mir das Buch gut gefallen und die Fortsetzung steht auch schon auf meiner Wunschliste. 😀 Ein bisschen hat es mich sogar an Lovecraft erinnert, aber da kann ich nicht genau die Finger drauf legen, warum das so ist. Vielleicht wegen des Umfelds (Neuengland) oder wegen Will Henrys Erzählperspektive … Oh, und das Hörbuch ist auch nicht schlecht geworden, auch wenn sie leider die Einleitung weggelassen haben, durch die man erfährt, dass die Geschichte aufgrund von Will Henrys Tagebüchern bekannt wurde – was hier und da dann doch etwas irritierend war.
Wendigos mag ich auch, obwohl ich da eher eine vage positive Erinnerung an einen Shadowrun-Roman habe, während mir Marzi im Zusammenhang mit Wendigos nichts sagt. *g*
Kiya said,
August 5, 2011 um 20:44
Schade eigentlich, daß viele immer vorher so genau wissen müssen, wie sie etwas einzuordnen haben; kein Wunder, daß sie dann dauernd dasselbe lesen. 😉 Ich find’s immer schön, ein Buch zu finden, das in keine Genre-Konvention paßt.
Aber speziell als Jugendbuch würde ich den „Monstrumologen“ auch nicht sehen (wobei das, finde ich, auch Jugendliche gut lesen können, wenn sie die Richtung eben mögen). Die Begegnung mit dem Seemann war wirklich… interessant. Trotzdem konnte ich es in dem Kapitel gar nicht zur Seite legen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht.
Mir fällt gerade wieder ein, daß ich die Figur des Kearns (hab gerade nochmal nach dem Namen geschaut, aber er stellte sich ja mit verschiedenen vor) ganz spannend fand. Da ist auf jeden Fall auch noch Potential für die Folgebände.
Ich kann mir vorstellen, was du mit der HPL-Assoziation meinst, gibt vermutlich verschiedene Ansätze dafür. Zusätzlich zum Genannten finde ich bei beiden etwas (schwer auszudrücken) „Sezierendes“ in der Herangehensweise.
Für die Shadowrun-Romane ist bei uns mein Freund zuständig (nicht ganz mein System…) 🙂 Ich meine, bei Marzi (von dem ich seltsamerweise bisher ausschließlich die Uralte Metropole-Bücher mag) kamen sie in „Somnia“ vor!
Winterkatze said,
August 6, 2011 um 11:25
Ich lese nicht andauernd das Selbe, aber ich lese bestimmte Genres in bestimmten Stimmungen und mit dem „Monstrumologen“ hatte ich anfangs schon meine Probleme, weil ich nicht sofort einen Lesefluss fand – und wenn ich eh immer wieder Pausen mache, dann frage ich mich schon, welche Zielgruppe der Autor beim Schreiben wohl im Sinn hatte … 😉
Bei dem Seemann fand ich die Hintergründe, die er zu enthüllen hatte, auch sehr spannend, aber die Details seines körperlichen Zustands waren für mich schlimmer zu lesen als die Schlacht gegen die Antropophagen am Ende der Geschichte. Sobald Insekten ins Spiel kommen, bin ich sehr empfindlich! *g* Und ja Kearns fand ich auch spannend, wobei mir die Andeutung auf England am Ende fast schon zuviel war – auch wenn immerhin die zeitliche Einordnung passen würde.
Ohje, ohne groß zu spoilern zu diskutieren erfordert schon etwas Drumrumgerede … 😉
„Sezierend“ ist auch ein passender Begriff! 🙂
Was „Shadowrun“ angeht, das habe ich vor vielen Jahren gern gespielt und dementsprechend auch die ersten Bücher dazu genossen. Ich hatte damals so die Nase von klassischer Fantasy voll, dass ich den Cyperpunk-Aspekt wirklich genossen habe. 😀 Und von Marzi kenne ich bislang nur „Heaven“ und ich bin kein Fan seiner blumigen und ausschweifenden Ausdrucksweise …
Kiya said,
August 6, 2011 um 11:59
Ich meinte jetzt eher diejenigen, die immer dasselbe Genre lesen und nur ja kein anderes ausprobieren wollen. 😉 Finde ich schade, weil man sich selbst um neuartige Leseerlebnisse bringt, aber jeder, wie er mag.
Ich hatte gar keine Leseflußprobleme, aber wahrscheinlich warst du nicht die einzige, der es so ging. Viele haben von der Aufmachung des Buches offenbar etwas ganz anderes erwartet (eben das Jugendbuch, das es in der Form wohl nicht ist). Ist aber verständlich, denn z.B. solche Bilder gibt es bei uns in Publikationen für Erwachsene eher selten.
„Heaven“ hat mir z.B. gar nicht gefallen. Leider hat er eine Vorliebe für extrem romantische Geschichten, außerdem finde ich die häufige Erwähnung von Musiktiteln anstrengend. Ich hoffe also auf ein weiteres Uralte Metropole-Buch, darin mag ich die Mischung verschiedener mythologischer Einflüsse. Aber die Idee ist natürlich von Gaiman geklaut und Gaiman ist zweifelsfrei eine ganz andere Klasse.
Um den Bogen zurück zum Beitragsthema zu schlagen: Die meisten Systeme lassen zum Glück viel Raum für den gewünschten Spielstil, aber ich kann verstehen, daß es mit der klassischen Fantasy manchmal reicht. Hast du mal „Cthulhu“ ausprobiert?
Winterkatze said,
August 14, 2011 um 11:59
Der Autor hat „Der Monstrumologe“ schon als Jugendbuch geschrieben – zumindest bekommt es auf seinerm Homepage dieses „Label“ – und dafür ist die Aufmachung wirklich passend. 🙂 Nur fand ich die Beschreibungen dann doch stellenweise etwas heftig, um noch jugendgerecht zu sein. Aber ich habe mich auch früher regelmäßig mit besorgten Müttern, Großeltern und Lehrern rumschlagen müssen, die so besorgt um die sensiblen Kinderseelen waren. 😉
Bei „Heaven“ konnte ich mit der Grundgeschichte leben, aber die Sprache ging für mich gar nicht. Der Autor hat es mit seinen Beschreibungen einfach übertrieben. Ich habe bei meiner Blogrezi einen Satz zitiert, den ich schön gefunden hätte, wenn er nur die erste Hälfte verwendet hätte. Aber da er noch eine Beschreibung und noch einen Vergleich anhängen musste, wurde es einfach zuviel und kitschig und … bah … 😉
Und zum Rollenspiel: Nö, kein Versuch mit „Cthulhu“. 😀 Ich war damals schon sehr froh, dass ich für „Shadowrun“ irgendwann eine Gruppe gefunden hatte und als ich dann aus der Gegend weggezogen bin, habe ich irgendwann das Rollenspiel aufgegeben. Ohne eine nette Truppe macht es einfach keinen Spaß … Mit den „fantastischen Brettspielen“ geht es meinem Mann und mir übrigens genauso, es finden sich einfach keine netten Mitspieler. *schmoll*
Kiya said,
August 15, 2011 um 09:01
Als ich mit 11 angefangen habe, Stephen King zu lesen, waren meine Eltern auch nicht so richtig begeistert 😉 Aber meiner Erfahrung nach haben Kinder beim Lesen gelegentlich ein ganz schön dickes Fell. Und wenn ihnen doch etwas zu viel ist, lernen sie schon selbst draus und meiden das zukünftig.
Ja, mit „Heaven“ hast du wohl recht. Vielen hat es ja sehr gefallen, aber für mich ist es eben auch nichts. Ich mag seinen Stil (der zugegeben speziell ist) grundsätzlich schon, also denke ich, daß es nicht nur daran liegt, sondern auch an der Geschichte. Du kannst es ja nochmal mit Lycidas probieren, das fand ich noch nicht so romantisch.
Allerdings habe ich den Fehler gemacht und Marzis Kurzgeschichtensammlung „Nimmermehr“ nach Gaimans „M is for Magic“ zu lesen. Da wurde der Qualitätsunterschied leider doch überdeutlich…
Stimmt, die Mitspieler sind wichtig. Sonst müßt ihr euch einstweilen mit dem Brettspiel „Arkham Horror“ trösten, das geht auch mal zu zweit oder dritt und ist wirklich sehr reichhaltig 😉